Neue Gentechnische Verfahren – Fragen und Antworten

Sind Neue Gentechnische Verfahren (NGT) überhaupt Gentechnik?                           Im Sinn des geltenden Europäischen Gentechnik-Rechtes sind auch die NGT als Gentechnik zu regulieren. Das hat der Europäische Gerichtshof 2018 geklärt. Denn schließlich wird in den Kern der Genetik von Organismen – in die DNA – technisch mit der „Gen-Schere“ eingegriffen.

Sind die Chancen der NGT so groß, dass man die Risiken vernachlässigen kann?
Die Heilsversprechen, die im Zusammenhang mit den NGT zu hören sind, entsprechen denen zur bisherigen Gentechnik: Höhere und sicherere Erträge, Widerstandsfähigkeit gegen Boden-Versalzung oder Trockenheit, Resistenz gegen Pilzkrankheiten etc. Weder bei Alt noch bei Neu ist all das eingetreten – auch dort nicht, wo man NGT nicht reguliert und deshalb die Anwender freie Bahn haben. Das liegt vor allem daran, dass solche Pflanzeneigenschaften komplex sind und auf einer Kombination von Genen beruhen, die man nicht so einfach künstlich bauen kann. Deshalb ist konventionelle Züchtung bei der Verbesserung solcher Eigenschaften erfolgreicher.
Vor allem aber trägt die genetische Veränderung von Pflanzen nur untergeordnet zur Lösung der großen Probleme bei. Klimawandel, beispielsweise, bringt nicht nur Hitze- und Trockenperioden mit sich, sondern mitunter ein Übermaß an Nässe. Widerstandsfähigkeit („Resilienz“) dagegen entsteht nicht isoliert durch Pflanzengenetik, sondern durch ein resilientes System: durch einen belebten, humusreichen Boden, der Wasser gut aufnehmen und speichern kann. Oder durch vielfältige und kleinräumige Agrarlandschaften. Auch die Antwort auf die Frage, ob eine weiter wachsende Weltbevölkerung ausreichend und gesund ernährt werden kann, braucht keine NGT. Sie braucht ein vernünftiges Maß an Produktion und Konsum tierischer Produkte und die Begrenzung von Lebensmittelverschwendung und Nachernteverlusten. Vor allem aber braucht sie einen Umgang mit Biologischer Vielfalt und Bodenfruchtbarkeit und dem Klima, der künftigen Generationen die Grundlagen für ihre Lebensmittelerzeugung erhält.

Welche Wirkung haben Patente?
Ein wesentlicher Motor der Gentechnik ist die Möglichkeit, damit das Patentverbot auf natürliche Organismen und herkömmlich gezüchtete Nutzpflanzen, zu umgehen. NGT Organismen werden ebenso wie die Produkte der bisherigen Gentechnik patentiert. Das bedeutet für Bäuerinnen, dass sie ihre eigene Ernte nicht wieder aussäen dürfen und für Züchter, dass sie damit nicht – wie in einem open source System – züchterisch arbeiten dürfen. Für den züchterischen Fortschritt und die Unabhängigkeit der Bauern ist das ein empfindlicher Rückschritt.
Wie steht es um die Freiheit der Forschung?
Gentechnik schränkt über Patente die Freiheit der Forschung ein. Gentechnikunternehmen verhindern bereits heute, dass kritische Wissenschaftler Saatgut für ihre Forschungen erhalten – mit Verweis auf Patentschutz.
An NGT wird in Deutschland und Europa schon viel geforscht. Beunruhigend ist, dass die früher für eine unabhängige Risikoforschung zur Verfügung stehenden Forschungsmittel nahezu komplett gestrichen wurden. Und dass es kaum noch Züchtungsforschungs-Mittel für gentechnikfreie Züchtungsverfahren gibt, weil die politisch Verantwortlichen die Steuermittel vorrangig den NGT-Forschern zur Verfügung stellen. Damit befördert die Forschungspolitik eine gefährliche Abhängigkeit von einem einzigen Entwicklungs-Pfad.

Prozess oder Produkt?
Für die Risikobewertung ist nicht nur das Verfahren der genetischen Veränderung (Kreuzung/ Selektion, Mutagenese oder Gentechnik) entscheidend, sondern auch das Ergebnis. Die EU-Prüfung für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) greift daher beide Aspekte auf: der Prozess definiert die Notwendigkeit der Prüfung, untersucht wird das jeweilige Produkt, also der GVO.

Kann man NGT-Organismen von klassischen Mutationen unterscheiden?
Das geht nicht mehr so einfach, wie bei den bisherigen Gentechnik-Verfahren, wo man nur bestimmte genetische Marker suchen muss. Typisch ist, dass eine NGT-Veränderung ausnahmslos alle Kopien des Gens im Genom betrifft – was bei traditionellen Mutationen nicht passiert. Nachweisen kann man eine NGT dann, wenn man den „genetischen Fingerabdruck“ kennt. Dann kann man auch im Markt transparent machen, auf welche Weise ein Organismus und die daraus gewonnenen Produkte entstanden ist.
Natürlich entstandene Organismen darf man nicht patentieren. Wenn nun die NGT-Anwender ihre Produkte patentieren lassen, gehen sie offenbar davon aus, dass diese (a) keine natürlichen Organismen sind und (b) der Eingriff nachweisbar ist, um Patentansprüche durchsetzen zu können.

Besteht bei NGT-Organismen ein besonderes Risiko?
Lebende, vermehrungsfähige Organismen können aus der Natur nicht mehr „zurückgeholt“ werden. Nach dem Vorsorgeprinzip dürfen deshalb Organismen erst dann in die Natur „freigesetzt“ werden, wenn ihre Unbedenklichkeit sorgfältig geprüft ist. Man weiß bei NGT Organismen zwar genauer als bei der bisherigen Gentechnik, wo welche Gene eingebaut oder verändert wurden. Aber welche zusätzlichen Mutationen und welche „epigenetischen“ Effekte ausgelöst wurden, weiß man auch hier nicht. Vor allem können mit NGT gleichzeitig mehrere Gene verändert werden. Auch bleibt eine Unsicherheit, welche Proteine durch die neuen Gene – über die beabsichtigten hinaus – noch gebildet werden. Niemand kann mit letzter Sicherheit sagen, ob solche tiefen technischen Eingriffe nicht eine andere Wirkung haben als eine von außen induzierte Mutation bei funktionierenden natürlichen Regulationsmechanismen der Zelle. Die Erfahrungen mit der Wirkung klassischer Mutationen sind unkritisch und seit Jahrzehnten bestens dokumentiert. Solche Erfahrungen liegen mit Produkten der NGT nicht vor. Die Erfinder von CRISPR Cas9 bezeichnen ihre Technik selbst als „wirkmächtig“. Bislang unmögliches sei jetzt machbar. Bei so viel potenzieller Wirkung ist besondere Vorsicht ein Gebot der Vernunft.

Zum Schluss noch ein „philosophischer“ Gedanke
Ein Blick auf die großen, von uns Menschen verursachten Krisen, Katastrophen und Gefahren zeigt, dass sie häufig damit zu tun haben, dass wir die Funktionsprinzipien von Ökosystemen missachten oder Stoffe in die Umwelt ausbringen, die in der Evolution bis vor wenigen Jahrzehnten nicht vorgekommen sind. Immer deutlicher erkennen wir, dass eine Handvoll Generationen nach einer 10.000 jährigen Zivilisationsgeschichte die Lebensgrundlagen unserer Nachkommen unwiederbringlich zu zerstören droht. Es ist deshalb in hohem Maß vernünftig und verantwortungsvoll, eine Technologie mit äußerster Vorsicht zu behandeln, die sich selbst das Potenzial zuschreibt, die Grenzen natürlicher Systeme in nie dagewesenem Maß zu sprengen. Technologien und Konzepte sind nur dann „Fortschritt“, wenn sie die notwendige Transformation zur Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen unterstützen und nicht sabotieren.

Weitere Informationen:
Fachstelle Gentechnik & Umwelt
Broschüre „Neue Gentechnik“ der IG Saatgut Informationsdienst Gentechnik

Autoren:
Dr. Friedhelm von Mering und Felix zu Löwenstein, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) Marienstr. 19-20, 10117 Berlin

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